Texten | Partei Eurasia ist gegruendet | 05.07.2002 |
Original text
Partei "Eurasia" gegründet
Vom Think-Tank zur politischen Kraft?
Alexander
Dugin hat eine kurvenreiche Karriere hinter sich: Der Sohn eines KGB-Offiziers
studierte zuerst Geschichte, betätigte sich dann in den frühen
achtziger Jahren aktiv in Dimitri Wassiliews radikal-antisemitischer
Pamjat-Bewegung, stand danach der fundamental-faschistischen "Konservativen
Revolution" von Eduard Limonov zur Verfügung, bevor er sich
mit diesem überwarf und seine eigene Gruppe "Eurasia"gründete,
die sich nun zur Partei entwickelt hat.
Die antiwestliche Stoßrichtung der "Eurasia" wird offen
zugegeben, auch wenn der Parteigründer seine "nationalbolschewistische"
Feindschaft gegen den gesamten Westen aus taktischen Gründen fallenließ
und nur noch Großbritannien und die USA als "geopolitische"
Widersacher ansieht. Nebenbei ist Alexander Dugin auch zum Berater des
Duma-Präsidenten Gennadij N. Selesnjow und anderer Abgeordneter
aufgestiegen.
Ist er nur ein Wirrkopf oder eine düstere Vorschau auf das Russland
von morgen?
Von Kai Ehlers
Am 30. Mai, passend zum Besuch des US-Präsidenten in Moskau, fand
dort auch
die Gründung einer Partei "Eurasia" (Logo) statt. Gründer
und Leiter der Partei ist Alexander Dugin, seinem Selbstverständnis
nach "Geopolitiker", der sich als Kontrapunkt zu den US-Strategen
Brzezinski, Kissinger oder Huntington versteht.
Ende der achtziger, noch Anfang der neunziger Jahre war Alexander Dugin
als extremer Nationalist, der vor Rückgriffen auf die deutsche
"konservative Revolution" und vor Lobreden auf Hitler als
Vorbild für eine nationale Politik nicht zurückschreckte,
marginalisiert. Er galt als dubioser Extremist, der in Missbrauch des
klassischen Euroasiatismus schwüle national-bolschewistische Mythen
verbreite.
Inzwischen, als leicht erkennbarer Reflex auf die von Krise und Kriminalisierung
begleitete Amerikanisierung der russischen Gesellschaft, ist Alexander
Dugins anti-westlicher Fundamentalismus nicht nur in der russischen
politischen Klasse hoffähig geworden, sondern kann sich auch auf
eine weit verbreitete Ablehnung der aus dem Westen kommenden Liberalisierung
und neuerdings auch auf russische Kritiken an der Globalisierung stützen.
So erfolgte die Gründung der Partei "Eurasia" jetzt
bereits auf der Basis der "Bewegung Euroasien", die seit Mitte
2001 mit großzügiger finanzieller und organisatorischer Unterstützung
des Putinschen Präsidialamtes und des kommunistischen Duma-Vorsitzenden
Gennadij Selesnjow mit beachtlicher Dynamik im ganzen Lande Fuß
fassen konnte. Und wie seinerzeit die "Eurasische Bewegung",
so findet auch die Partei "Eurasia" jetzt offenbar Zuspruch
von vielen Seiten und Unterstützung aus dem Präsidialamt:
204 Delegierte aus 59 Regionen Russlands nahmen - eigenen Angaben der
Veranstalter zufolge - an der Gründung der Partei teil. Im Präsidium
der Gründungsversammlung waren u.a. vertreten: Alexander Waraski,
Abgeordneter der gesetzgebenden Versammlung Jekaterinenburgs, Dordschi
Lama, Koordinator der Vereinigung der Buddhisten, Pater Johan Mirojubow,
Abt der Rigaer Gemeinde der Altgläubigen, die Rabbiner Arie Koran
und Sakris Astran und weitere orthodoxe Geistliche. Der Mufti Scheich
Talgat Tadschuddin, Vertreter der zentralen Leitung der europäischen
Muslime Russlands, begründete seine Teilnahme an der die Versammlung
mit der Erklärung, die Welt brauche heute die Ideen des Euroasiatismus.
Mit Glückwunschschreiben war unter anderem der Präsident
des Präsidial-Amtes Alexander Woloschin präsent, ebenso wie
der Staatsekretär der Abteilung, die Verbindungen zum Föderationssowjet
und zu politischen Gruppen des Landes hält, W.C. Kurjanow. Glückwünsche
übermittelte auch die Abteilung für die Innenpolitik des Präsidenten
mit Schreiben ihrer Sekretäre Alexandra Kospopkina und B.J. Chintschigaschwili.
Es fehlten auch nicht die Glückwünsche aus den Reihen der
orthodoxen Kirche, des Islam, aus den Botschaften der GUS sowie einige
Grußworte aus dem Ausland, wobei die Öffentlichkeit in diesen
Fällen nicht erführ, von wem diese Glückwünsche
konkret kamen.
In seiner programmatischen Rede, die vom außenpolitischen Kurs
Russlands ausging, erklärte Alexander Dugin, kraft seiner historischen
Kontinuität und seiner geopolitischen Potenz werde es Russland
als großes Imperium wesentlich einfacher haben als regionalisiert
und zerstückelt. Euroasiatismus müsse deshalb heute vor allem
als Projekt begriffen werden: "Russland als mächtiges weltweites
Imperium."
Des weiteren deklarierte Alexander Dugin fünf Prinzipien der neuen
Partei, die hier in ihrer originalen Form vorgestellt werden sollen,
um deutlich zu machen, wie sehr sie in die heranwachsende Mentalität
einer reformmüden Mehrheit der russischen Gesellschaft eingepasst
sind:
- "Wissenschaftlicher Patriotismus":
Unter dieser Rubrik heißt es:
Russland kann kein regionales Imperium sein. Es gibt keine Wahl: entweder
eine Rolle in der Weltpolitik oder Untergang. Aber Russland kann seine
geopolitische Souveränität und seine strategische Unabhängigkeit
nicht allein erhalten. Die historischen materiellen und ideologischen
Quellen des Isolationismus sind erschöpft. Russland braucht ein
System der Allianzen – als Achse – innen wie außen.
Es geht um die Bildung eines einheitlichen strategischen Raumes, der
Europa und Asien miteinander verbindet. Euroasiatismus – das ist
immer Multipolarität in der inneren wie in der äußeren
Politik.
- Soziale Orientierung:
Das ist euroasiatische Wirtschaft, das ist Kapitalismus mit nationaler
Seele und sozialistischem Gesicht. Das ist die Wirtschaft des dritten
Weges: Marktwirtschaft muss im Kontext einer nicht markorientierten
Gesellschaft angelegt sein, einer Gesellschaft der Gerechtigkeit, der
Solidarität, der Moral. Aber Moral und Spiritualität können
die soziale Tragödie nicht mit ansehen, wie unserer Zeitgenossen
zu "vernachlässigenswerten Opfern des Kapitalismus" werden.
Markt muss nach sozialen Bedürfnissen der Gerechtigkeit und unter
dem Imperativ der nationalen Wiedergeburt organisiert werden.
- Euroasiatischer Regionalismus.
Euroasiatismus ist keine abstrakte Angelegenheit, sondern hat mit den
lebendigen Räumen unseres Landes zu tun. Jeder Verwaltungsbezirk,
jeder Kreis Russlands hat seine besonderen Merkmale. Unser riesiges
Land bildet selbst einen ganzen Kontinent, eine ganze Welt. Euroasiatismus
bemüht sich, diese nicht nur formal zu vereinen – Rede, Bevölkerungszahlen,
Territorium, Umfang der Produktion usw. Jede Region ist besonders und
das Herangehen an sie muss besonders sein. In einem zukünftigen
großen Imperium muss jede Region ihre Vertretung, ihre Stimme
im Zentrum haben.
- Traditionalismus
Heute ist für alle offensichtlich: Technischer Fortschritt und
Effektivität der Wirtschaft – das ist das eine, aber moralischer
Fortschritt ist das andere. Und dabei weigert sich unser Bewusstsein,
das abscheuliche Bild der Unsitten und Sünden anzuerkennen, das
sich an der Grenze der Jahrhunderte öffnet. Und keine neue Spiritualität,
keine Moral, keine neue Religion entsteht unter diesen Bedingungen.
Um dieser Ausweglosigkeit zu widerstehen müssen wir zurückkehren
zu unseren spirituellen Wurzeln. Wir unterstreichen die Notwendigkeit
der Hinwendung zu einem integralen Traditionalismus, zu den Grundlagen
der Konfessionen – der Orthodoxie, des Islam, des Buddhismus, des
Judentums. Unerschütterliche Echtheit, Grundlagen der Moral und
der Spiritualität - die Basis der Erneuerung und der Wiedergeburt
muss genau dort und nirgends anders gesucht werden.
- Euroasiatische Ethik
Wir glauben, dass die höchste Kategorie der Geschichte, der höchste
Wert das Volk ist. Der Mensch ist Teil des Volkes, er ist ganz und gar
durch es geschaffen, erzogen, organisiert. Sprache, Kultur, Lebensart
ist hervorgebracht von dessen ethnischer Zugehörigkeit. Völker
müssen sich erhalten, müssen sich frei entwickeln."
Ungläubigen Westlern mögen diese Inhalte angesichts des Westkurses
Wladimir Putins abseitig vorkommen. Man täusche sich nicht! Nicht
nur das Präsidialamt unterstützt den Aufstieg Alexander Dugins.
Widerspruchslos ließ Wladimir Putin selbst sich, ungeachtet seiner
Westorientierung, ja, möglicherweise gerade deshalb, in den Schriften
und bei Veranstaltungen der "Eurasischen Bewegung" als Kronzeuge
zitieren. "Die Dynamik, welche die euroasiatische Idee in sich
trägt", so wird er anlässlich eines Kongresses, den die
Bewegung zur Frage "Islamische Drohung oder Bedrohung des Islam"
mit hochrangigen Vertretern des islamischen und orthodoxen Klerus wie
auch des Präsidenten-Apparates durchführte", aus dem
Internet zitiert, "ist heute, da wir authentische gleichberechtigte
Beziehungen mit Ländern befreundeter Staaten aufbauen, besonders
wichtig. Auf diesem Wege müssen wir all das Beste bewahren, das
in einer langjährigen Geschichte der Zivilisation sowohl des Ostens
als auch des Westens zusammengetragen wurde. Russland hat sich immer
als euroasiatisches Land gefühlt. Wir haben nie vergessen das ein
grundlegender Teil unseres Territoriums sich in Asien befindet. Die
Wahrheit ist, das muss man ehrlich sagen, dass wir dieses Vermögen
nicht immer genutzt haben. Ich denke, jetzt ist die Zeit gekommen, dass
wir zusammen mit den Ländern der asiatisch-pazifischen Region von
den Worten zur Tat schreiten - die Wirtschaft, politische und andere
Verbindungen entwickeln. Alle Voraussetzungen sind dafür in Russland
gegeben." Eine seiner Reden in Kasachstan gipfelte in dem Satz:
"Ist doch Russland ein ganz eigener Knoten der Integration, der
Asien, Europa und Amerika miteinander verbindet." Wladimir Putin
ist nicht Alexander Dugin, kann man dazu sagen, aber er lässt einen
Think-Tank unter Dugins Führung gedeihen.
Auch gemäßigte Konservative, die keineswegs mit Wladimir
Putin oder gar Alexander Dugin sympathisieren, müssen die Wirkung
Alexander Dugins konstatieren. So Igor Tschubajs (Bruder des berüchtigten
Anatoly Tschubajs, des ehemaligen Chef-Privatisierers in Russland).
Igor Tschubajs ist Professor für "Philosophie Russlands"
an der Universität für Völkerfreundschaft in Moskau,
Initiator einer "Schule der Kontinuität", die wie Dugin
eine Besinnung Russlands auf seine eigene Geschichte fordert, dabei
aber entschieden Abstand nimmt von krudem Anti-Westlertum.
Tschubajs sieht die Begriffe der Anerkennung der historischen Kontinuität,
des Anknüpfens an die Traditionen, der Erneuerung russischer Ethik,
unter denen sich die von ihm initiierte "Schule der Kontinuität"
sammelt, von Alexander Dugins "Euroasiatischer Bewegung" usurpiert.
Er tröstet sich damit, dass "solche Gedanken eben offenbar
in der Luft lägen, also könnten sie nicht falsch sein".
Dugins extremer Variante aber hat er im Grunde nichts entgegenzusetzen.
Mit beunruhigender Genugtuung konnten die Initiatoren der Partei "Eurasia"
darum konstatieren, die Gründung der Partei lege Zeugnis dafür
ab, dass der "Euroasiatismus", gemeint ist die nationalistische
Radikalisierung des klassischen Euro-Asiatismus, den Rahmen der philosophischen
Debatten verlassen habe und sich zur aktiven politischen Kraft herausbilde.
Die Euroasiatische Idee, erklärten sie, könne zur "Grundlage
der nationalen Idee eines Russlands des 21. Jahrhunderts" werden.
Sie könnten Recht haben, denn Russland ist nun einmal das Herzland
zwischen Asien und Europa. Wenn es sich aber in der Duginschen Variante
wiedererkennt, dann wird das einundzwanzigste ein sehr ungemütliches
Jahrhundert.
5. Juli 2002
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